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GT Fahrer Geständnis: ich bin fremd gegangen!

Verfasst: Sa 6. Sep 2014, 20:03
von HDBeemer
Ich hätte das nie von mir gedacht, normalerweise bin ich eine durch und durch treue Seele. Auch wenn ich oft gehört habe, andere hätten attraktivere Partnerinnen, so liess mich das immer kalt. Ich war zufrieden mit dem, was ich zuhause hatte, und obwohl ich gelegentlich mal auf der Strasse nach anderen schielte, blieb ich meiner immer treu. Bis heute.
Das Drama begann damit, dass bei meiner GT der Service fällig war, und der Rückruf bezüglich Kettenspanner lag auch schon lange auf dem Tisch. Also hin zum Händler und meine GT abgeliefert. Obwohl mein Händler normalerweise sehr zuverlässig ist, hatten sie diesmal vergessen, mir eine Ersatzmaschine zu reservieren. Das einzige Gefährt, das noch frei war: eine C Evolution!
Was tun: nach Hause laufen war zu weit, Taxi zu teuer. Also zähneknirschend das neongrüne Ding übernommen. Und das passiert ausgerechnet mir: seit >30 Jahren Motorradfahrer aus Passion. Schon als Säugling saugte ich die Abgase aus der Garage meines Grossvaters ein, bis heute bin ich süchtig nach dem Stampfen der Zylinder, den Vibrationen, dem Geruch von Benzin. Ein Gläubiger, der überzeugt ist, dass sich Hubraum einzig durch mehr Hubraum ersetzen lässt. Und ein Skeptiker aus professioneller Erfahrung, der nicht an die Propaganda von "elektrische Fahrzeuge sind umweltfreundlicher" und solchen Quatsch glaubt.

Nach dem Druck auf den Startknopf passiert erst mal: nichts. Fängt ja toll an. Doch dann rollt das DIng tatsächlich los, begleitet von elektrischem Surren, das sich bei höherer Geschwindigkeit anhört wie ein Staubsauger auf Ecstasy. Schrecklich - und das nach 20 Jahren Harley fahren. Zuerst raus aus der Stadt: naja, fährt sich eigentlich ganz normal, würde mich eine andere Soundkulisse begleiten, könnte man meinen, es sei eine normale GT. Die Scheibe ist allerdings unbrauchbar, viel zu niedrig und spickt Fahrtwind und Insekten gezielt auf mein Visier. Die Sitzposition ist irgendwie nicht so optimal wie auf meiner GT, aber vielleicht lässt sich das ja einstellen.
Dann der erste Ampelstart aus der Pole Position: wie gewohnt drehe ich voll auf - und bin überrumpelt. Der neongrüne Staubsauger geht ab wie eine Rakete, meine Arme werden lang, ich klammere mich fest und bin froh, die Kontrolle zu behalten. Mit etwas mehr Vorsicht geht es weiter bis ausserhalb der Stadt. Die Anzeige zeigt noch 71% Ladung, vor mir liegt der Hausberg, der überwunden werden will: zahlreiche Kurven, steile Steigungen, enge Passagen, wo sich keine zwei Autos kreuzen können. Hoffentlich muss ich nicht auf halber Strecke schieben, weil ihm der Saft ausgeht.
Ich gebe Gas, und komme aus dem Staunen nicht heraus: die grüne Hummel zieht hoch, wie wenn es keine Schwerkraft gäbe, wedelt elegant durch die Kurven und lässt sich zielsicher lenken. Irgendwann dödelt mal ein 1200R Treiber vor mir her, immer schön in der Mitte, damit man nicht überholen kann. An einer steilen Geraden drehe ich auf und ziehe (fast) lautlos mit einem Affenzahn an ihm vorbei. Er versucht noch, Gas zu geben, doch vergebens. DAS Gesicht hätte ich jetzt gerne gesehen, das wäre ein Youtube-Hit - damit hat er garantiert nicht gerechnet.
Auf der Passhöhe angekommen zeigt die Anzeige noch knapp über 50% Ladung - nicht schlecht. Also den Abstieg in Angriff genommen und das Rekuperieren austesten. Und tatsächlich, trotz forscher Fahrweise steht unten im Tal die Anzeige wieder auf 58%. Cool! Die letzten km bis nach Hause auf Überland und Dorfstrassen muss ich immer auf den Tacho schauen, fahre immer wieder zu schnell. Kein Motorgeräusch und enorme Beschleunigungswerte - das bin ich mir nicht gewohnt, mir fehlt das Gefühl für die Geschwindigkeit. Allerdings trifft das auch auf die Passanten zu - gleich mehrmals treten sie auf die Strasse und erschrecken, weil sie mich nicht kommen hören. Hier muss man noch mehr aufpassen.
Zuhause umrunde ich die C-Evolution, und diesmal mit deutlich mehr Respekt. Die Rückfahrt am Abend gestaltet sich ähnlich, und spontan entscheide ich mich für einen längeren Umweg, um das "andere" Fahrgefühl noch ausführlicher zu testen. Mit leichtem Wehmut gebe ich die C-Evolution zurück.
Der Antrieb und die Fahrbarkeit haben mich enorm überrascht - das habe ich nicht erwartet. Ein lange gepflegtes Vorurteil werde ich heute zu Grabe tragen. Das Ding macht fahrerisch wirklich Spass.
Unverändert bleibt das Problem der Batterikapazität: etwas über 100km sind zu wenig für mich. Und ökologischer als ein "normales modernes" Motorrad sind sie auch nicht, wenn man die Gesamtbilanz betrachtet. Aber die Entwicklung geht weiter, und die Batteriekapazität wird in absehbarer Zeit immer weiter verbessert. Nur woher der Strom kommt, das bleibt nach wie vor problematisch.
Die Heimfahrt auf meiner GT war ernüchternd, die früher so geliebte Beschleunigung war plötzlich weniger "sexy" - und der laute Motor klang irgendwie lauter als sonst. Ich habe heute mit einer Neuen geflirtet, sie hat mich zu einem Seitensprung verführt, und es hat mir besser gefallen als ich gedacht hätte. Meiner GT erzähle ich natürlich nicht, welche schmutzigen Gedanken ich heute hatte - noch nicht! :)G

Re: GT Fahrer Geständnis: ich bin fremd gegangen!

Verfasst: Sa 6. Sep 2014, 21:55
von Rollerer
Sehr sympathische short story, danke, HD Beamer!

Bei mir ist es mehr die Gepäck-Ladekapazit, die mich noch vom Umstieg abhält. Ich spiele mit dem Gedanken, mit einem ( diesem!) Elektroroller Urlaubsreisen zu zweit zu machen.

Nochmals danke und Grüsse
Georg

Re: GT Fahrer Geständnis: ich bin fremd gegangen!

Verfasst: So 7. Sep 2014, 00:00
von Romiman
Also trifft hier die alte Burgman 650 Probefahr-Regel zu:
Nicht fahren, wenn man nicht kaufen will und kann...

Schade, daß die Neugier größer ist. Ich würde den C-Evo wohl auch fahren wollen.

Re: GT Fahrer Geständnis: ich bin fremd gegangen!

Verfasst: So 7. Sep 2014, 07:32
von carlo93
nach einer Probefahrt war ich auch begeistert! Nach etwas Überlegung nicht mehr.

Ich wohne auf dem Land, die nächste Stadt ist 25km entfernt. Das würde gehen, aber dafür sind mir 15500€ zuviel. Für Überlandfahrten (z.B. Nürnberg 55km) müßte ich ja meinen C600Sport behalten. :(

Gruß Carlo

Re: GT Fahrer Geständnis: ich bin fremd gegangen!

Verfasst: So 7. Sep 2014, 08:33
von NastyBoy
Sehr schöne Bericht clap
Wenn der Evo 200km Reichweite hätte, wäre nach einer Probefahrt mein Sport wohl Geschichte.

Re: GT Fahrer Geständnis: ich bin fremd gegangen!

Verfasst: So 7. Sep 2014, 08:37
von carlo93
sag ich doch. ;)

Gruß Carlo

Re: GT Fahrer Geständnis: ich bin fremd gegangen!

Verfasst: So 7. Sep 2014, 08:48
von Nibelunge
Hallo,

Danke für den Bericht. ThumbUP

Eine hohe Scheibe gibt es, mehr Reichweite leider nicht.

MFG
Alex

Re: GT Fahrer Geständnis: ich bin fremd gegangen!

Verfasst: So 7. Sep 2014, 08:54
von Methusalem
Das hast du sehr schön geschrieben, wie ein Profischriftsteller.
Vielleicht werde ich meinen Freundlichen auch mal bitten mich mit dem Stromer fahren zu lassen.
Einen Kauf schließe ich definitiv aus, ich habe meinen Roller als Spaßgerät und fahre Touren, in der Regel 300 bis 500 Kilometer am Tag wenn ich unterwegs bin.
Und das geht mit dem Elektroroller nicht. Noch nicht .

Gruß
Franz

Re: GT Fahrer Geständnis: ich bin fremd gegangen!

Verfasst: So 7. Sep 2014, 09:05
von fangtom
rauch
Schön geschrieben, für so einen Artikel würde mancher "Profi-Schreiber" das Geld bekommen, um sich eine C Ev kaufen zu können...

Elektrofahrrad gibts auch noch dazu ...

grüße fangtom

Re: GT Fahrer Geständnis: ich bin fremd gegangen!

Verfasst: So 7. Sep 2014, 09:58
von Alpenostrand
Ich bin den cEvolution auch gefahren, gleich am ersten Tag wie er beim Händler angekommen war. Die KM 2-27 sind also von mir. ;)

Beschleunigung top, Modi interessant, ich bin dann in Sail gefahren. Kurz an der Ampel beschleunigen, dann die Arme verschränken und so bis zur nächsten Ampel segeln. Geil.

Was mich vom Kauf abhält, abgesehen vom Preis, ist die Reichweite und die Abregelung bei 120km/h. Somit reines Stadtfahrzeug.